Im Zeichen der Melancholie
Eigentlich war dieser Abend unter dem Motto „Jiddisch and more“ bereits für März 2018 vorgesehen. Damals kam bei einigen Mitgliedern die Grippewelle dazwischen, so dass er auf den traditionellen Herbsttermin im Werkgymnasium verlegt wurde. Dann verstarb im Juli vollkommen unerwartet der Mitbegründer und einer der Aktivposten dieser Veranstaltungsreihe: Wolfgang Weiss. Glücklicherweise haben sich seine Mitmusiker entschlossen, diese Reihe in seinem Gedenken fortzusetzen. Und es hat sich gelohnt: Stimmungsvoll und vielfältig war dieser von Melancholie geprägte Abend.
Michael Loessin – als ehemaliger Lehrer des Werkgymnasiums ebenfalls Mitinitiator dieser Reihe - begrüßte die wie immer zahlreich erschienenen Gäste denn auch mit dem klaren Bekenntnis: Er fehlt!
Damit meinte er, dass dieser Abend für alle nicht leicht sei, da einige der Lieder einfach mit der unverkennbaren Stimme von Wolfgang Weiss untrennbar verknüpft sind. Nichtsdestotrotz waren mit Gerd Schock, Johannes Fiedler, Andreas Antoniuk, Vasilios Jakovidis, Werner Lehmann, Karsten Tanzmann, den beiden aktiven Lehrerinnen Antje Hoffmann und Ricarda Rickert sowie mit Ralf Kiesel und Werner Schölzel, ihres Zeichens „Neu- bzw. Alt-Schulleiter“ der Kern der Reihe wieder am Start.
Lieder, die vor allem durch die legendäre Gruppe „Zupfgeigenhansel“ in den späten 70er Jahren bekannt geworden sind, wurden in der ersten Hälfte dargeboten, immer wieder ergänzt durch Loessin selbst, der mit seinem Mitstreiter Karsten Tanzmann historische Hintergründe der Lieder beleuchtete, Texte übersetzte und den jüdischen Humor in Form von zahlreichen Witzen aufleben ließ. Der bei jiddischen Liedern oftmals typische Gegensatz zwischen melancholischen Texten, aber durchaus fröhlichen Melodien, kam in Klassikern wie „Dire-Gelt“, in dem es um die Einforderung der Miete bei sowieso schon armen Leuten geht oder in „Di grine Kuzine“, in der die Wandlung eines hübschen, fröhlichen Mädchens in eine durch schwere körperliche Fabrikarbeit gezeichnete Frau besungen wird, immer wieder deutlich hervor.
Auch der bereits mehrfach im „Heidenheimer Folk-Club“ erprobte harmonische Zweiklang der Stimmen von Gerd Schock und Johannes Fiedler fand in „Dem Milners Trern“ und „Schtil, die Nacht is ojsgeschternt“ Raum an diesem Abend.
Ricarda Rickert, Fremdsprachenlehrerin am WeG, zeichnete in Zusammenarbeit mit Gerd Schock für die Gesamtorganisation des Abends verantwortlich. Dazu gehören auch die Instrumental-Einlagen des Teams Werner Schölzel und Ralf Kiesel, die dieses Mal mit einer gefühlvollen Version von „The blessing nigun“ - was so viel bedeutet wie „Das segnende Lied“ - den „and more“-Teil des Abends einläuteten.
Danach folgte wieder einmal einer dieser Gänsehautmomente, für den die „Kultur in der Mensa“-Reihe auch bekannt ist: Diesmal durch die Interpretation des bei uns vor allem durch den Film „Verstehen Sie die Beliers?“ bekannt gewordenen Chansons von Michel Sardou „Je vole“. War es im Film noch Frankreichs Jungstar Louann, war es in der Mensa des Werkgymnasiums Ricarda Rickert, die mit ihrer Darbietung für Gänsehaut sorgte - unterstützt vom aktuellen Schulleiter Ralf Kiesel und von dessen Vorgänger Werner Schölzel.
Aber eben nicht nur Lehrer, Eltern und Freunde sind beim Auftritt dabei, sondern auch Schülerinnen und Schüler bekommen die Möglichkeit, um auf sich aufmerksam zu machen. Zum einen war das mit Anna Hank eine Schülerin der 7. Klasse, die mit dem von ihr selbst geschriebenen Lied „The Song of the Devil“ und mit Tim Bendzkos „Keine Maschine“ ihr Talent unter Beweis stellen konnte. Auch Danae Mavragani aus der 10. Klasse hatte ihren 2. Auftritt in dieser Reihe: dieses Mal mit „Back to black“ von Amy Winehouse. Vor 3 Jahren wurde dieser Punkt auf Initiative von Gesangsvirtuosin Ricarda Rickert in den Programmablauf integriert. Und seitdem konnten zahlreiche junge Talente ein wenig Bühnenerfahrung sammeln.
Sologitarrist Werner Lehmann („Your Session“) und Andreas „Assi“ Antoniuk bestachen mit ihren Versionen von David Bowies „Space oddity“ und den legendären „Nights in white Satin“ der Moody Blues.
Um den Bogen zu schließen, fand zum Finale doch auch ein gänzlich unmelancholischer jiddischer Klassiker den Weg in dieses Programm. Nämlich einer der größten Hits der ersten „Girlgroup“ der amerikanischen Musikgeschichte, der „Andrew-Sisters“: „Bei mir bist du scheen“.
Und als Referenz an den viel zu früh verstorbenen Wolfgang Weiss erklang dann als Zugabe einer seiner Standards: das durch Donovan (Leitch) bekannt gewordene „Donna Donna“ in Englisch und Jiddisch. Und so hatten am Ende nicht nur einige Musiker dabei Tränen in den Augen.
Karsten Tanzmann